06.10.2020

Die BALL-Fraktion hatte in der Stadtvertretung das Vorschlagsrecht für die Straßenbenennung. Nach ausgiebigen Diskussionen um den Vorschlag „Karl-Mohr-Straße“, der am Ende keine Mehrheit fand, sollte noch in der letzten Stadtvertretersitzung ein Name gefunden werden. Daher beschloss eine Mehrheit aus BALL, SPD und einer GRÜNEN-Vertreterin den Namen “Johannes-Pyterek-Straße”.

Begründung

Leider hat der 8.Mai – der 75.Jahrestag des Kriegsendes und der Befreiung vom Faschismus – in diesem Jahr nicht die entsprechende Würdigung in der Bundesrepublik gefunden.  Mit der vorgesehenen Straßenbenennung wollen wir einen sicherlich bescheidenen örtlichen Beitrag zur Erinnerung leisten.

Der 8.Mai ist auch ein guter Tag, um an den mutigen Widerstand gegen die Nazi-Diktatur zu erinnern. Dieser Widerstand wurde – wie an vielen Orten – auch in Barmstedt vor allem getragen von jungen Arbeitern, Kommunisten, Sozialdemokraten und Gewerkschaftern. Die im Verhältnis zur damaligen Größe Barmstedts (rd. 4.500 EW) hohe Anzahl von Verhaftungen von Antifaschisten deutet die Stärke dieses Widerstands noch bis zwei Jahre nach der Machtübernahme der Nazis an. Eine Auswahl (in: Gerhard Hoch: Vergangenheitsbewältigung in Barmstedt; Jahrbuch für den Kreis Pinneberg 1993):

Am 20.6.1933 holten SA und SS nachts mehrere Barmstedter Nazi-Gegner aus den Betten, zwangen sie in den Wald, legten Stricke um ihren Hals und feuerten Schüsse ab und vollzogen so „Scheinhinrichtungen“

Am 4.7.1933 verteilten Barmstedter Antifaschisten Flugblätter gegen die Nazi-Diktatur und wurden dabei verhaftet und zu hohen Gefängnisstrafen verurteilt, so u. a. Theo Decker, damals 19 Jahre alt, zu eineinhalb Jahren.

Im Juli 1934 wurden erneut sieben Barmstedter wegen verschiedener Widerstandshandlungen verhaftet: Johann Möller (Schmied), Heinrich Neben (Maler), Hans Sahlmann (Maurer), August Paetzel (Arbeiter), Willi Möller (Schuhmacher), Erich Rüssau (Maler) und Robert Decker (Maurerlehrling). Johann Möller wurde 1.5 Jahre ins Gefängnis gesperrt und Heinrich Neben in das Konzentrationslager Esterwegen.

Am 19.12.1934 folgte die nächste Verhaftungswelle im Kreis Pinneberg, bei der 11 Barmstedter Nazi-Gegner verhaftet wurden. Sie saßen bis April 1935 in der Strafanstalt Fuhlsbüttel in Einzelhaft und kamen dann ins KZ Esterwegen. Die Barmstedter, die sich für ihren Widerstand in unserer Stadt verdient gemacht haben, waren: W. Starkjohann, Ernst Kunde, Hans Sahlmann, J. Strecker, Hans Decker, L. Zeise, H. Kernberger, H. Weiß, J. Schinkel, Erich Rüssau und Emil Schnell.

Karl Mohr

Als am 8.Mai 1945 der Krieg vorbei war, wurden auch in Barmstedt antifaschistisch-demokratische gesonnene Menschen gesucht, die sich um die Linderung der Not und den Aufbau eines demokratischen Gemeinwesens kümmerten. So setzte die britische Militäradministration den Sozialdemokraten Karl Mohr im Jahre 1945 als ersten Bürgermeister Barmstedts (16.6.45-14.1.46) ein. Damals war der Bürgermeister, etwa vergleichbar dem heutigen Bürgervorsteher, der Vorsitzende des Stadtparlaments.

Karl Mohr gehörte zum damaligen Kreis Barmstedter Antifaschisten. Er war bereits seit 1921 bis zur Nazi-Zeit Mitglied der Gemeindevertretung.

  • Als Anfang Juli 1934 auf dem Marktplatz die Schlussveranstaltung des Kinderfestes stattfand, wurde Karl Mohr zusammen mit zwei weiteren Barmstedtern (Wilhelm Hermsmeier, Franz Winterberg) inhaftiert, weil sie sich geweigert hatten beim Absingen der üblichen Nazi-Lieder den Arm zum Hitler-Gruß zu erheben und die Kopfbedeckung abzunehmen. Zusätzlich zertrümmerten die Nazis die Fensterscheiben seiner Wohnung in der Reichenstrasse.
  • Im Zuge der Verhaftungswelle nach dem gescheiterten Anschlag auf Hitler am 20.7.1944 kam Karl Mohr ins KZ Neuengamme, das er schwer krank überlebte.
  • Am 5.Mai fuhren vier Barmstedter (Karl Mohr; RA Dr. Raabe; Adolf Opfermann; Dr. Frieben (Volkssturm)) mit einer weißen Fahne mutig den heranrückenden englischen Truppen entgegen, um vor Kriegsende die Stadt zu übergeben und weiteres Blutvergießen u. Zerstörung zu vermeiden. Eine Bekanntmachung Heinrich Himmlers besagte, dass das Hissen weißer Fahnen bei Herannahen feindlicher Truppen unter Todesstrafe stand.

Karl Mohr wurde dann von der Stadtvertretung 1946 der erste gewählte Barmstedter Stadtdirektor, der wie heute die Bürgermeisterin die Verwaltung leitete. Aus diesem Amt schied er dann im Konflikt mit der Stadtvertretung über die Art seines Beschäftigungsverhältnisses aus. In den vorhandenen Archivunterlagen gibt es noch verschiedene – schwer überprüfbare – Hinweise auf Konfliktpunkte und Streitigkeiten, z. T. familiärer Art. Diese Informationen beruhen zu Großteil auf eigenen Recherchen der BALL-Fraktion im Barmstedter Archiv. Aufgrund der erwähnten Konflikte und Streitigkeiten merkte die  Barmstedter Archivarin an: „Ob ein Bürgermeister als Kandidat für eine Straßenbenennung taugt, der nach nur einem Jahr auf einstimmigen Beschluss der Gemeindevertretung fristlos entlassen wurde und danach einen unversöhnlichen Rechtsstreit gegen die Stadt führte, bis er starb, ist diskutabel“.

Diese Diskussionen wurden fraktionsintern, sowie im Bau- und Umweltausschuss und der Stadtvertretung geführt und zur Abstimmung gebracht (s. o.).

Johannes Pyterek

Nachfolger Karl Mohrs wurde 1946 Johannes Pyterek (KPD). Johannes Pyterek gehörte zum Kreis derjenigen, die in Barmstedt noch bis Ende 1934 Widerstandsaktivitäten gegen die Nazi-Diktatur durchführten. Er war einer von mehr als 20 Barmstedtern, die verhaftet und in Gefängnisse und Konzentrationslager eingesperrt wurden. Johannes Pyterek wurde 1933 wegen verschiedener Widerstandsaktivitäten vom schleswig-holsteinischen Sondergericht in Altona »wegen Verunglimpfung der neuen Regierung der nationalen Erhebung« verurteilt und ein Jahr im „preußischen Zentralgefängnis“ in Neumünsterinhaftiert (Näheres: Barmstedt-Geschichte, Heft 1, Sommer 2015). Johannes Pyterek war nach dem Hitler-Faschismus der erste frei gewählte Bürgermeister Barmstedts. Er hatte ein gutes Ansehen und wurde mit den Stimmen der Arbeiterparteien (SPD, KPD) und mit Stimmen aus dem bürgerlichen Lager gewählt. Er gehörte zu denen, die unter schwersten Bedingungen an einem demokratischen Neuanfang aktiv mitgewirkt hatten.

In Erinnerung an diejenigen, die in Barmstedt nicht die Nazi-Barbarei unterstützten, die inhaftiert und in Konzentrationslagern landeten und in Erinnerung an diejenigen, die unter schwersten Bedingungen das Leben und ein demokratisches Gemeinwesen in Barmstedt vor 75 Jahren wieder in Gang brachten, hat die BALL für die Benennung der Straße im Neubaugebiet an der Gr. Gärtnerstraße (ehemalige Baumschule) „Johannes-Pyterek-Straße“ vorgeschlagen. Auch wenn eine Straßenbenennung sicherlich ein sehr, sehr bescheidener Beitrag zur Erinnerung ist, scheint uns gerade in der heutigen Zeit, in der Neonazis, Antisemiten und Ausländerfeinde nicht nur propagandistisch marschieren, ein starkes Zeichen wichtiger als eine  neutralere Namensgebung.

Der Namensvorschlag „Johannes-Pyterek-Straße“ erreichte uns durch einen Barmstedter Bürger. Ebenso erreichten uns Vorschläge zweier zukünftiger Anwohner der nun benannten Straße. Darunter fanden sich Vorschläge wie der auch in der politischen Debatte v. a. von der CDU oft genannte „Alte Gärtnerei“ sowie „Alte Baumschule“, „Bei den Gärtnerstrassen“ und als Herausstellung der Familienfreundlichkeit „Lummerland“. Alle diese Vorschläge waren Bestandteil der Diskussion innerhalb unserer Fraktion. Wir sind jedoch der Ansicht, dass mit „Kleiner- und Großer Gärtnerstrasse“ dem Gedenken an ehemalige Gärtnereien an dieser Stelle genüge getan wurde.  Das Gelände der an der Großen Gärtnerstrasse ist nicht das erste Gärtnerei-/ Baumschulgelände, dass in Barmstedt bebaut wurde und wird wohl auch nicht das letzte sein. Zuletzt wurde die Neubaustraße auf dem ehemaligen Gärtnereigelände an der Hamburger Straße in „Doktor-Schroff-Weg“ benannt.

Günter Thiel

BALL-Fraktionsvorsitzender